Autor: Udo Klussmann
Berliner Landesvorsitzende der USG
4. Mai 2004.
Die Menschen in
Deutschland sind durch die anhaltende Diskussion über die Zukunft ihrer Renten
tief verunsichert. Sie fürchten, dass ihre Lebensleistung nicht mehr als bisher
mit einer Rentenzahlung anerkannt wird, die sie durch ihre Arbeit erworben
haben. Auf dem Rentenversicherungssystem der Zukunft lastet ein erheblicher
Druck infolge der demografischen Entwicklung, die dazu führt, dass immer
weniger Erwerbstätige die Rente von immer mehr Rentnerinnen und Rentnern
finanzieren müssen.
Dabei ist der weit ausgefächerte Wohlfahrtsstaat die bisher letzte große
kulturelle Errungenschaft der Europäer (Zitat: Altbundeskanzler Helmut Schmidt
/Die Zeit 02/2001) Diese gilt es zu bewahren.
Dieser
Wohlfahrtsstatus ist in den meisten der Mitgliedsstaaten der EU gefährdet.
Dafür sind hauptsächlich drei Gründe zu nennen:
1.
Das solidarisch finanzierte
Rentensystem droht zusammenzubrechen, da wegen der Überalterung der
europäischen Gesellschaften - relativ immer weniger Erwerbstätige den
Lebensabend von relativ immer mehr Alten finanzieren müssen.
2.
Überall in der EU wurde aus
kurzsichtigen, opportunistischen Gründen die Lebensarbeitszeit herabgesetzt.
3.
Die verbreitete
Massenarbeitslosigkeit führt zu weniger Einnahmen, weil Arbeitslose weder
Beiträge noch Steuern zahlen.
Was ist zu tun?
Bundestag und
Regierung sollen mit der Rentenbastelei aufhören und sich endlich den
Grundursachen der Erkrankung und deren Therapie zuwenden.
Die Grundursachen
müssen klar benannt werden und bei der Öffentlichkeit muss Verständnis für die
dringende Notwendigkeit zu weitreichenden Reformen geschaffen werden.
Erst wenn die
Politik das Vertrauen der Menschen in eine gesicherte Zukunft wiederhergestellt
hat, werden diese ihre gegenwärtige Konsumzurückhaltung aufgeben. Dies führt
dann zu einem Wirtschaftsaufschwung und Rückgang der Arbeitslosigkeit.
Erster
Therapieansatz: Stärkung des solidarisch finanzierten Rentensystems.
Während im Jahr 1960
auf 100 Menschen im Erwerbsalter zwischen 20 und 60 Jahren entfielen nur 32
über 60-Jährige versorgen mussten, sind es heute bereits 43 alte Menschen
über 60 Jahre, im Jahre 2020 werden es statistisch voraussichtlich 56 Alte
sein, im Jahre 2030 sogar 75 Alte! Das bedeutet: Wenn alles so bleibt, dann
nähern wir uns schon bald einer Situation, in der jedermann, der im
Erwerbsalter steht, allein die halbe Versorgung für einen Alten erwirtschaften
muss - nicht nur die Rente, auch alle anderen Leistungen! Und wenige Jahrzehnte
danach muss einer allein sogar die volle Rente für einen Alten finanzieren.
Dabei gilt das
folgende, Generationenvertrag genannte Prinzip: Die Renten und
Sozialleistungen hängen davon ab, dass die Arbeitenden und Verdienenden
einen Teil ihrer erwirtschafteten Leistung abgeben an die noch-nicht-Arbeitenden,
vor allem Kinder, Azubis und Studierende, und an die nicht-mehr-Arbeitenden,
vor allem Rentner und Kranke - und Arbeitslose. Dabei ist es vollkommen egal,
ob die Alterssicherung durch Steuern, durch Beiträge oder aus
Kapitalerträgnissen finanziert wird.
Die meisten unserer
heutigen Rentner und Rentnerinnen halten den Bezug ihrer eigenen Rente oder
ihrer Witwenrente deshalb für selbstverständlich, weil sie doch über ihr ganzes
Arbeitsleben Versicherungsbeiträge eingezahlt haben; ihre Rente erscheint ihnen
als die fällige Gegenleistung. Das ist moralisch auch zutreffend, ökonomisch
ist es aber nicht die ganze Wahrheit. Denn ihre früheren Beiträge und die
Beiträge ihrer Arbeitgeber sind regelmäßig für die Rentenzahlung an die
damaligen Rentner verbraucht worden; und ihre heutige Rente (oder Pension) wird
durch die heutige Beitrags- und Steuerleistung aller heute Verdienenden
finanziert.
Also müssen mehr
Bürger als bisher in die Sozialkassen einzahlen, und es müssen - entsprechend
dem Sozialprinzip – die unabweisbaren Lasten der demographischen Entwicklung
auf alle Teile der Bevölkerung verteilt werden.
Bereits im Jahr 2002
hat Klaus Wiesenhügel, der damalige Bundesvorsitzende der IG Bau ein Konzept
für ein universelles System der gesetzlichen Alterssicherung vorgestellt.
Auch wenn
Gewerkschaftsfunktionäre im allgemeinen althergebrachte Systeme verteidigen und
selten zu umgreifenden Reformen neigen, halten wir
das Wiesenhügelsche Konzept für geeignet, die
Rentenproblematik zu lösen.
Leider will die
bisherige Politik aus opportunistischen Gründen von einer solidarischen
Alternative des Rentensystems nichts wissen und sieht in einer
überwiegend privaten Altersvorsorge das Mittel der Wahl.
Wie denken, dass es
auch anders geht.
Wir brauchen auch
weiterhin eine solide finanzierte staatliche Rentenversicherung als Rückgrat
einer gesellschaftlichen Altersversorgung, wobei unser Reformvorschlag
kalkulierbare Beiträge vorsieht und ein menschenwürdiges Leben im Ruhestand vorsieht.
Wir wollen dies
erreichen, indem wir langfristig zu einer Versicherungspflicht für alle kommen,
also zu einer Erweiterung der Rentenversicherung auf die gesamte
Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Dies bezieht auch Ausländer,
Beamte, politische Mandatsträger und Selbständige in die Versicherung mit ein.
Damit wird die ausschließliche Bindung der Rentenversicherung an das
Arbeitsverhältnis um weitere Einkommensformen erweitert. Bei Einkommen aus
abhängiger Erwerbstätigkeit ist der Rentenversicherungsbeitrag paritätisch von
Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzubringen. Die Beitragsbemessungsgrenze
entfällt. Für bisher erworbene Pensions- und andere Ansprüche müssen
Übergangsregelungen geschaffen werden.
Es ist ein wichtiger
Schritt zur Beitragsgerechtigkeit, wenn alle Einkommensarten zur
Beitragszahlung herangezogen werden. Dazu gehören: Einkommen aus
Erwerbstätigkeit, Erträge aus Vermögen, Vermietung und Verpachtung,
Spekulationsgewinne, sowie alle sonstigen zu versteuernden Einkommensarten.
Laut Wiesenhügel würde die Ausweitung der Personenkreise, die Einbeziehung
aller Einkommensarten und der Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze rein
rechnerisch zu einer Beitragssenkung von letztendlich 5,4 Beitragssatzpunkten
führen.
Die Grundlage für
eine individuelle Altersversorgung wird dadurch geschaffen, dass jeder in der
Bundesrepublik Lebende ab dem 16. Lebensjahr einen Mindestbeitrag in Höhe von
100,00 EUR als Rentenversicherungsbeitrag entrichten muss. Bei unzureichenden
Einkommen sind Zuschüsse erforderlich. Ein voller Anspruch auf Altersrente soll
bereits nach 44 beitragspflichtigen oder gleichgestellten Jahren entstehen,
rechnerisch beginnend mit der Vollendung des 16. Lebensjahres. Hierzu gehören
Wehr- und Zivildienst, drei Jahre Ausbildungszeiten sowie Zeiten der
Arbeitslosigkeit. Wir streben den Aufbau eigenständiger und ausreichender
Anwartschaften für alle Mitglieder der Gesellschaft an.
Bei einem
durchschnittlichen Verlauf des Berufslebens soll eine auskömmliche Altersrente
auf dem jetzigen Niveau (70 %) garantiert sein, die durch Tarif- und
Betriebsrenten sowie freiwillige Formen der privaten Vorsorge ergänzt werden
kann und soll. Wegen der niedrigeren Beitragshöhe sollte der nötige Spielraum
für eine ergänzende private Vorsorge geschaffen sein.
Um die
Finanzierbarkeit des Systems nicht zu gefährden und den notwendigen
Umverteilungseffekt erzielen zu können, muss die maximale gesetzliche
Rentenhöhe begrenzt werden. Deshalb schlagen wir einen maximal erzielbaren
Rentenbetrag von 2000,00 EUR (Kappungsgrenze bezogen auf das Jahr 2004) vor,
der in den folgenden Jahren entsprechend der Entwicklung der Bruttoeinkommen
dynamisiert werden sollte.
Wir sind uns
bewusst, dass sich diejenigen, denen wegen ihrer erhöhten Beitragszahlungen
eigentlich eine höhere Rente zukäme, ungerecht behandelt fühlen könnten. Aber
wie ist es heute? Die Spitzenverdiener jenseits der Beitragsbemessungsgrenze
beteiligen sich relativ umso weniger an den sozialen Lasten, je höher ihre
Einkünfte sind. Das ist mit dem Solidarprinzip unvereinbar.
Heutzutage läuft die
Rente über viel längere Zeiträume als früher. Also, muss man Anzahl
Verdienender steigern um einer weiteren Verschlechterung des
Zahlenverhältnisses zwischen Verdienenden und Nichtarbeitenden
entgegenzuwirken.
Ein Rezept lautet:
„geregelte Zuwanderung“
Ein modernes
Zuwanderungsgesetz wurde von großen Teilen der Regierung und Opposition bislang
verhindert. Hintergrund ist die Angst vor einer Transparenz und einer
langfristigen Bindung. Vielmehr möchte man durch temporäre Maßnahmen wie der
missglückten Greencard flexibel bleiben. Wenn wir die
dringend benötigten Beitragszahler aus dem Ausland in Deutschland behalten
wollen, muss die Regierung Vertrauen schaffen. Es kann nicht angehen, dass an
deutschen Hochschulen hochqualifizierte ausländische
Fachkräfte mit hohem finanziellem Aufwand ausgebildet und nach Abschluss des
Studiums in ihr Heimatland zurückgeschickt werden. Ein Großteil der durch die Greencard angeworbenen Spezialisten befindet sich längst in
den USA.
Wir brauchen wir ein
modernes Zuwanderungsgesetz
- um Zuwanderung unter
Berücksichtigung der Integrationsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu
steuern und zu begrenzen,
-
um den wirtschaftlichen und
arbeitsmarktpolitischen Interessen Deutschlands gerecht zu werden, aber
auch unseren humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen,
-
um hochqualifizierte
Arbeitskräfte für Arbeitsplätze zu gewinnen, die trotz hoher Arbeitslosigkeit
im Inland derzeit nicht besetzt werden können; dies schafft neue Arbeitsplätze
und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft.
Als Auswahlkriterium
soll dabei ein Punktesystem dienen in dem das Alter die Ausbildung und
Sprachkenntnisse den Maßstab bilden.
Ein weiteres, durch
die demographische Entwicklung verursachtes Problem, liegt in der Tatsache,
dass in Deutschland zu wenige Kinder geboren werden.
Deshalb unsere
Forderung: Dieses Land braucht eine Politik für mehr Kinder.
Die Familienpolitik
muss die Kinderfreudigkeit in Deutschland wieder auf das Niveau heben, wie es
vor dem Pillenknick schon einmal bestanden hat. Dazu gehört dann aber - über eine
drastische Anhebung von steuerlichen Kinderfreibeträgen und von Kindergeld
hinaus - eine generelle Wende unserer Politik: Das heißt Stärkung der Familie,
besonders der kinderreichen Familie, und Entlastung der berufstätigen Mütter.
Zweiter
Therapieansatz: Ausdehnung der Lebensarbeitszeit
Das
durchschnittliche Lebensalter eines Deutschen hat sich seit der Zeit von
Bismarcks Invalidenversicherung gewaltig erhöht. Damals lag die
durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen bei 40 Jahren, für Männer noch
darunter. 1960 hat die Lebenserwartung für Frauen bei 72, für Männer bei knapp
67 Jahren gelegen. Heute dagegen beträgt die Lebenserwartung für Frauen über
80, für Männer über 74 Jahre. Wesentlich bessere Arbeitsbedingungen, moderne
Hygiene und Medizin, Krankenversicherung und Alterssicherung haben zu dieser
günstigen Entwicklung beigetragen. Vermutlich wird die Lebenserwartung weiterhin
steigen.
Anders als in
früheren Jahrzehnten gehen die Menschen heute viel früher in Rente. Das 65.
Lebensjahr, noch vor wenigen Jahrzehnten in unserer Gesellschaft als Normaljahr
für den Beginn des Renten- und Pensionsalters angesehen, ist zur Ausnahme geworden.
Die gegenwärtig relativ früh einsetzende Rentenzahlung ist einerseits für viele
Menschen eine große Freude; andererseits liegt hier eine von mehreren Ursachen
für die Überbeanspruchung der Finanzen der Rentenversicherung. Die Gesetzgebung
der achtziger und neunziger Jahre hat der „Früh-Verrentung“ gewaltig Vorschub
geleistet. Man wollte dadurch verhindern, dass die in den Vorruhestand
entlassene Arbeitnehmer als zusätzliche Arbeitslose in Erscheinung treten.
Durch diese „soziale Abfederung“ hat die Politik manchem
rücksichtslosen Unternehmensmanagern die moralische Last der Verantwortung für
umfangreiche Entlassungen abgenommen.
Wir müssen das
tatsächliche Rentenalter schrittweise wieder heraufsetzen. Es ist klar, selbst
eine sehr hohe Produktivität der Erwerbstätigen pro Arbeitsstunde wird allein
nicht ausreichen, wenn die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden im Laufe eines
Jahres oder im Laufe des ganzen Arbeitslebens allzu gering bleibt.
Dritter Therapieansatz:
Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit
Es besteht ein unmittelbarer
Zusammenhang zwischen dem Niveau der Renten und der Höhe der Arbeitslosigkeit.
Spätestens durch den dem vom Opec-Kartell im
Laufe der siebziger Jahre gewollt herbeigeführten Ölschocks hat sich fast
überall in den Mitgliedsstaaten der EU eine Massenarbeitslosigkeit ergeben.
Dazu kommt noch die strukturelle Arbeitslosigkeit in den ehemals kommunistisch
regierten Teilen Europas durch den Übergang von der Zwangswirtschaft zur
Marktwirtschaft.. Diese Massenarbeitslosigkeit beansprucht erheblich die
öffentlichen Finanzen und beeinträchtigt dadurch die Finanzierung aller
öffentlichen Sozialleistungen, auch der Renten.
Solange diese
Massenarbeitslosigkeit weiter besteht, würde die Heraufsetzung des Rentenalters
ökonomisch sinnlos bleiben. Die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit gehört
damit zu den drängendsten innenpolitischen Aufgaben.
Es gibt dafür jedoch keine Patentlösung - ebenso wenig wie für das
Rentenproblem; Man braucht vielerlei Reformen zugleich.
Das dies möglich
ist, haben uns Holland und Dänemark haben gezeigt. Dort ist aber
gründliches Umdenken vorausgegangen und hat viel politischen Mut erfordert.
Daran sollten sich unsere Regierung und Opposition ein Beispiel nehmen.